Barnim für alle, 15.09.2021.
Elyas aus Lichterfelde-Buckow, aufgewachsen in Eritrea, ist tot. Wir wissen nicht viel über sein Leben und auch wenig über seinen Tod. Wir gehen davon aus, dass er sich das Leben nehmen wollte. Seine Geschichte macht uns sehr traurig. Er hatte schon lange psychische Probleme, zu denen die gefährliche Flucht, der erlebte Rassismus im Deutschland und die Lebenssituation als Geflüchteter im Heim zumindest beigetragen haben. Wir wollen von ihm erzählen, um die Themen psychische Probleme, Depression, Trauma und Suizidalität bei Geflüchteten sichtbar und besprechbar zu machen.
Und wir sammeln Spenden für die Familie von Elyas, die ihn in Eritrea bei seiner Mutter würdig bestatten wollen und dafür etwa 8.000 Euro benötigen.
Spendenkonto Barnim für alle
IBAN: DE 78 1705 2000 1110 0262 22
Sparkasse Barnim
Verwendungszweck: Elyas
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Wenn du in einer Krise bist oder Suizid gerade für dich ein schwieriges Thema ist, bitte achte auf dich, ob du diesen Text gerade lesen möchtest. Bitte sprich mit Freund*innen oder kontaktiere die anonymen Hotlines:
https://www.berliner-krisendienst.de/
https://www.berliner-notruf.de/ Tel. 0800-111 0 222
Im Barnim bietet kommit e.V. psychosoziale Beratung für Geflüchtete an: https://www.kirche-barnim.de/handeln/asyl-und-migration.html und hat eine sehr gute Broschüre in vielen Sprachen herausgegeben: „Wenn die Seele schmerzt“
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Wir haben mit Elyas‘ Schwester, die mit ihren Kindern in Berlin lebt, und mit einigen Freunden von ihm gesprochen. Dieser Bericht setzt sich daraus und aus den Polizeimeldungen zusammen.
Was ist passiert?
Der dreißigjährige Elyas H. aus Lichterfelde-Buckow (bei Eberswalde) wurde am 7.9.2021 im Werbellinsee tot aufgefunden.
Eine Woche zuvor, am Abend des 1.9., hatte er sich -wahrscheinlich in einer psychischen Krise- vermutlich selbst verletzt. Er war in seinem Zimmer in der Geflüchteten-Unterkunft in Buckow stark blutend gefunden worden. Eine Heimmitarbeiterin rief Notarzt oder Polizei (das wissen wir nicht genau: es kam jedenfalls die Polizei). Elyas war weiter allein in seinem Zimmer. Während die Polizist*innen zuerst mit der Heimmitarbeiterin sprachen und im Flur „Polizei kommt“ gerufen wurde, sprang Elyas aus dem Fenster im 1. Stock, verlor dort seine Schuhe und verschwand. Polizeibeamte versuchten ihm zu folgen, aber er war schnell verschwunden. Anscheinend war er mit freiem Oberkörper, blutend und barfuß unterwegs. Am frühen Morgen des nächsten Tages (Donnerstag) wurde ein ähnlich aussehender Mann mit nacktem, verdrecktem Oberkörper in der Nähe der Autobahn gesehen (etwa 2 km entfernt). Die Polizei hatte am Donnerstag und Freitag laut Polizeimeldung mit Helikopter und Fährtenhunden erfolglos gesucht. Auch einige eritreische Freunde versuchten ihn zu finden. Die Polizei veröffentlichte am Freitag eine Suchmeldung und ließ die Suche dann ruhen.
Eine Woche später wurde seine Leiche im Werbellinsee gefunden (4,5 km von Elyas‘ Heim entfernt). Die Polizei geht davon aus, dass es keine Gewalteinwirkungen gab und es sich um Selbstmord handelt.
Aus Elyas‘ Leben
Elyas ist nur mit seiner Mutter aufgewachsen, weil sein Vater früh gestorben war. Mit einem weiteren Bruder lebten sie in einem Dorf, mit eigenen Tieren und eigenem Anbau. Elyas ging einige Jahre zur Schule, bis zur 8. oder 9. Klasse. Er arbeitete auf dem Hof seiner Mutter und kümmerte sich mit ihnen um die Tiere und die Felder. Er war dort glücklich, sagt seine Schwester. Er soll damals viel geselliger gewesen sein als später in Deutschland.
Elyas musste, wie alle jungen Eritreer, zur Armee. Der Militärdienst in Eritrea ist unbegrenzt lang. Elyas flüchtete, um seine Mutter zu unterstützen. 2016 verließ er Eritrea, um eine bessere Zukunft zu finden. Seine Mutter verkaufte ihre Tiere und machte Schulden, um ihm die Flucht zu finanzieren. Er reiste durch die Sahara, durch Lybien und über das Mittelmeer. Auf demselben Weg sterben viele Menschen, andere scheitern an der „Festung Europa“. Elyas schaffte es – umso tragischer findet seine Schwester, dass er nun in Deutschland das Leben verloren hat. Die meisten, denen dieser Fluchtweg gelingt, sind schwer traumatisiert. Elyas hatte später regelmäßig Bauchschmerzen und andere Beschwerden, aber bei ärztlichen Untersuchungen wurde nichts gefunden. Er grübelte viel und hat über die Erlebnisse bei der Armee, in der Sahara, in Lybien und auf dem Mittelmeer nicht gesprochen. Wir wissen nicht, was er dort erlebt hat und welchen Einfluss es auf sein Leben hatte.
„Er ist in Deutschland nicht gut klargekommen“, erzählt seine Schwester. Sein Wesen veränderte sich. Er sprach kaum über Probleme und wollte keine Hilfe. Als er in das Heim Buckow kam, waren dort anfangs viele Eritreer und er hatte viel Kontakt und es soll ihm relativ gut gegangen sein. Wie die meisten Kriegsdienstverweigerer aus Eritrea bekam auch Elyas Asyl in Deutschland. Seine Freunde zogen einer nach dem anderen weg aus dem Heim. Eine bezahlbare Wohnung in Eberswalde, Bernau oder Berlin zu finden, ist ein großes Problem und wird durch Rassismus auf dem Wohnungsmarkt noch erschwert.
Seit Elyas allein im Heim Buckow lebte, hat er sein ganzes Leben sehr allein geführt und den Kontakt zu Freunden und ehemaligen Nachbarn kaum gesucht. „Als ich sein Zimmer im Heim gesehen habe, musste ich weinen – wie kann man so leben?“, sagt seine Schwester. Buckow ist ein sehr kleines Dorf, in dem es kaum etwas gibt. Es sind 10 km nach Eberswalde und der letzte Bus fährt unter der Woche kurz nach 19 Uhr. Elyas kam nicht weg aus dem Heim, er schaffte nicht eine Wohnung zu finden. Einige eritreische Freunde boten ihm an, bei ihnen in der Stadt zu wohnen, aber er wollte das nicht, er wollte alleine leben und nicht das Zimmer mit anderen teilen. Er hatte viele Ängste und er dachte er wäre in Buckow sicherer. Er fuhr fast jeden Morgen nach Eberswalde und verbrachte die meiste Zeit auf dem Bahnhofsvorplatz. Aus dem Bus zurück wurde wurde er öfter rausgeschmissen, weil er zu laut telefoniert habe. Vermutlich spielte Rassismus hier eine Rolle. Er musste zu Fuß den Weg nach Buckow gehen. Er selbst sprach darüber nicht. Er hat auch sonst kaum um Hilfe gefragt, weder bei Familie noch anderen Leuten noch Beratungsstellen oder Therapeut*innen.
Anfang 2021 hatte er eine Zeitlang einen Job in Halle. Dort musste er sich ein Zimmer mit mehreren Freunden teilen, das hielt er nicht gut aus und er kündigte wieder. Er verstand die bürokratischen Vorgänge nicht, hatte vom Jobcenter zu viel Geld und dann eine Sperre bekommen und war dann monatelang ohne Geld und mit hohen Schulden. Dieses Problem beschäftigte ihn sehr und darüber sprach er viel. „Wenn man tot ist, dann hat man seine Ruhe“, hat er einmal vor einigen Monaten zu seiner Schwester gesagt. Seine Freunde berichteten, er habe oft davon gesprochen, dass er entweder zurück nach Eritrea oder sterben wolle. Niemand dachte, dass er es so ernst damit meinen würde. In den letzten Wochen vor seinem Tod ging es ihm nicht gut, er hat komisch geredet und wirkte etwas verwirrt.
„Wir als Familie sind so traurig, dass er nicht mehr am Leben ist.“, sagt seine Schwester. Er war kein einfacher Mensch. „Aber bis zuletzt hat er sich immer bei Leuten entschuldigt, wenn er fand, dass jemand anders im Streit doch recht hatte oder wenn er dachte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Und er wollte von niemandem etwas nehmen, er war immer sehr bescheiden.“
Etwas muss sich ändern!
Wir als Gruppe „Barnim für alle“ wissen nicht, was alles in Elyas‘ Leben hätte anders laufen müssen, damit er heute noch am Leben wäre. Er war kein Musterbeispiel für die sogenannte Integration. Er war ein Mensch mit vielen Problemen. Aber wir wissen, dass die tödliche „Festung Europa“, der Rassismus im Barnim und in Deutschland, und die Lebenssituation als Geflüchteter ihn geprägt und mindestens zu seiner psychischen Krise beigetragen haben. Wir wissen, dass sein Leben (wie das von vielen anderen) ein anderes Leben wäre, hätte er all das nicht erleben müssen. Deshalb wiederholen wir unsere Forderungen:
Sichere Fluchtwege für alle!
Rassismus überwinden!
Wohnungen statt Heime! Unterbringung in Städten mit Anbindung statt an abgelegenen Orten!
Spendenaufruf
Die Schwestern von Elyas wollen ihn nach Eritrea überführen und in seiner Heimat bei seiner Familie beerdigen. Seine Mutter hat ihn seit 6 Jahren nicht gesehen. Sie hat Bluthochdruck und ihre Tochter macht sich Sorgen, wie ihr die schlechte Nachricht vom Tod ihres Sohnes bekommt. Zumindest soll er bei ihr sein und sie soll keine finanziellen Sorgen damit haben.
Für die Überführung werden etwa 8000 Euro benötigt. Die eritreische community im Barnim und in Berlin hat schon einen Teil der Kosten zusammen. Bitte beteiligt euch und gebt diesen Spendenaufruf auch gern weiter:
Spendenkonto Barnim für alle
IBAN: DE 78 1705 2000 1110 0262 22
Sparkasse Barnim
Verwendungszweck: Elyas
Barnim für alle
Quellen u.a.:
MOZ
Bernau Live
Polizei Brandenburg