Gegenüber den Fenstern des Quarantäneflurs im Erdgeschoss hat sich eine Band aufgebaut und sorgt mit Ska und Reggae für Stimmung und Abwechslung für die etwa 20 Menschen in Quarantäne, die von den Fenstern aus zusehen. In dem Flur befinden sich auch viele Kinder, die wie die Erwachsenen schon seit 10 Tagen ihren Flur nicht verlassen dürfen. Sie alle wurden negativ getestet – aber sie hatten sich zuvor Flur, Küche und Toiletten mit einer positiv getesteten Person teilen müssen, weil es (wie in den meisten Heimen) keine abgeschlossenen Wohneinheiten gibt.
„Ich danke euch sehr, dass ihr gekommen seid und uns nicht allein lasst“, sagt Mehran vom Fenster des Quarantäneflurs aus. Ein Mikro darf ihm nicht gegeben werden, die Securities erlauben ihm nur, etwas aufzuschreiben, was auf der Bühne vorgelesen werden kann, oder wie jetzt ohne Mikro zu reden. „Wir können uns im Heim nicht vor dem Virus schützen – deshalb brauchen wir Wohnungen“, sagt er.
Knapp 60 Menschen, etwa zu gleichen Teilen aus dem Heim und aus der Stadt, sind heute zum Konzert am Übergangswohnheim Wandlitzer Chaussee gekommen. „Erst seit Donnerstag wissen wir, dass bis zu 150 Menschen erlaubt gewesen wären – hätten wir das vorher gewusst, hätten wir auch den Fans Bescheid sagen können“, erklärt eine der Organisatorinnen. Zu der Solidaritätsaktion von „Barnim für Alle“ und dem Bürger*innen-Asyl Barnim spielte die Band „Die Pyjamas“ aus Bernau.
Dass die Forderung nach Unterbringung in Wohnungen keine weltfremde Spinnerei ist, erklärt Ingrid vom Barnimer Bürger*innen-Asyl. Am Mittwoch habe die Stadtverordnetenversammlung Potsdam beschlossen, mittelfristig alle Sammelunterkünfte in der Stadt aufzulösen – „Das ist ein gutes Vorbild für den Barnim“, findet Ingrid. Stattdessen sollen die Menschen in Potsdam in Wohnungen untergebracht werden oder Gemeinschaftsunterkünfte zu unabhängigen Wohneinheiten umgebaut werden. (Bericht PNN)
In einer Studie zu Infektionen in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete vom 29.5.2020 haben Wissenschaftler*innen sämtliche bisherige Covid19-Fälle in deutschen Heimen untersucht und kommen zu dem Schluss, dass das Risiko sich anzustecken nur noch auf Kreuzfahrtschiffen gleich hoch ist. Als Fazit empfehlen sie dringend getrennte Wohneinheiten und das Vermeiden von kollektiver Quarantäne.
„Um jetzt wirksam gegenzusteuern, müsste der Landkreis in sozialen Wohnungsbau investieren, leerstehende Wohnungen sanieren und günstig gelegene Heime zu kleineren Wohneinheiten umbauen“, fasst Ingrid zusammen. Dass Demonstrieren auch Spaß machen kann, zeigt die tanzbare Musik auf dem Beton vor dem Heim.
Hintergrund: aus der PM von „Barnim für alle“ vom 4.6.2020
Im Geflüchteten-Wohnheim in Bernau-Waldfrieden ist der erste Bewohner positiv auf Covid-19 getestet worden und befindet sich im Krankenhaus. Etwa 20 Bewohner*innen wurden daraufhin am 30.05. unter Quarantäne gestellt. Alle wurden negativ getestet – zum Glück –, müssen aber dennoch 2 Wochen Quarantäne einhalten.
Das wichtigste Gebot in den letzten Wochen war „Abstand halten“. Und es steht zu befürchten, dass wir auch in der kommenden Zeit darauf achten müssen, unnötige Kontakte zu vermeiden. Viele Geflüchtete im Barnim können aber keinen Abstand halten. Sie wohnen in sogenannten Übergangswohnheimen (Basdorf, Bernau-Waldfrieden, Eberswalde, Joachimsthal, Oderberg, Ützdorf, Wandlitz) in sehr beengten Verhältnissen ohne Privatsphäre in Mehrbettzimmern. Sie müssen sich die Kochräumlichkeiten und Sanitäranlagen teilen. Für einen wirksamen Infektionsschutz ist die Massenunterbringung in sogenannten „Übergangswohnheimen“ völlig ungeeignet und setzt die Bewohner*innen einem hohen Risiko aus. Zahlreiche Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke und andere Risikogruppen leben weiterhin in den Massenunterkünften. „Im Heim können wir keinen Abstand halten“, sagt Reza* aus dem Geflüchteten-Wohnheim in Bernau-Waldfrieden. „Wir müssen uns eine kleine Küche mit 15 Personen teilen.“ In einem Heim in Henningsdorf (Oberhavel) können Bewohner*innen seit vielen Wochen das Heim nicht mehr verlassen, weil die Quarantäne immer wieder verlängert wird.
Die Form der Unterbringung in großen Wohnheimen sorgt für Stress, macht krank, verstärkt und führt zu weiteren Traumatisierungen. „Wir wollen zeigen, dass die Leute im Heim mit der schwierigen Situation nicht alleine sind.“ sagt Ingrid* vom Bürger*innenasyl Barnim, „und wir fordern die Unterbringung der Menschen in Wohnungen!“
Die Initiative „Barnim für alle“ fordert seit Jahren eine schnellstmögliche dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass den Schutz suchenden Menschen genauso viel Wohnraum zugestanden wird, wie den Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft.
Vor allem in Eberswalde gibt es weiterhin einen hohen Wohnungsleerstand. Diese Wohnungen sollten schnellstmöglich in einen nutzbaren Zustand versetzt und als Wohnraum für Menschen in dieser Stadt – somit auch Geflüchteten – zur Verfügung gestellt werden. Im berlinnahen Raum dagegen fehlt es an leerstehenden Wohnungen.
Hier ist der Einstieg in den sozialen Wohnungsbau dringend notwendig.
Viele Geflüchtete brauchen nach ihrer Ankunft in Deutschland ärztliche und psychologische Begleitung. Sie müssen sich völlig neu orientieren und dürfen keine Fristen versäumen. Es ist sehr wichtig, dass sie schnell Kontakt zu Menschen finden, die ihre Sprache sprechen. Auch deswegen sind sie besonders auf eine funktionierende und bezahlbare Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Auch die Chance, Kontakte zu knüpfen und Unterstützung zu erfahren, steigt mit der Größe der Orte. Wir fordern darum, Flüchtlinge nur in den größeren Ortschaften entlang der Barnimer Bahnlinien unterzubringen.
* Name geändert