Pressemitteilung, 09.01.2022. Die Initiative Bürger*innenasyl Barnim verurteilt die Abschiebung eines 20jährigen und die versuchte Abschiebungen einer Familie vom 20.12.2021 in Eberswalde auf das Schärfste.
Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember, gab es in der Eberswalder Flämingstraße im Brandenburgischen Viertel einen 4-stündigen Großeinsatz von Polizei und Ausländerbehörde. Ziel war die Abschiebung eines jungen Mannes und einer Familie nach Russland. Alle Betroffenen waren vor der Bedrohung durch die brutale Diktatur in der russischen Teilrepublik Tschetschenien geflohen. Am Ende des Einsatzes wurde ein junger 20jähriger abgeschoben, seine Mutter bleibt allein zurück. Die Abschiebung der Familie musste zwar abgebrochen werden, aber die Betroffenen stehen unter Schock. Die Angst vor weiteren Abschiebungen ist groß, auch unter den vielen anderen geflüchteten Tschetschenen, die in Eberswalde leben.
„Wir haben mit einigen der Betroffenen gesprochen und möchten der offiziellen Darstellung die der betroffenen Familien gegenüberstellen“, erklärt Thomas Janoschka vom Barnimer Bürger*innenasyl. „Der Einsatz war organisiert, als gälte es bewaffnete Schwerverbrecher oder Terroristen festzunehmen. Die Betroffenen wollten aber nichts anderes, als hier in Sicherheit leben. Abschiebungen sind unmenschlich – wir fordern dagegen ein Bleiberecht für alle!“
Wie uns Frau Kukieva berichtete, kamen Polizisten mit Maschinengewehren bewaffnet in die Wohnung ihrer Familie und blieben dort für die Dauer des Einsatzes. Aus Verzweiflung wollte Frau Kukieva ein Messer gegen sich selbst verwenden um sich zu verletzen, aber die Polizei hat sich kurzzeitig selbst bedroht gefühlt. Inzwischen hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen „Nötigung“ gegen sie eingeleitet. Glücklicherweise war der 16-jährige Sohn der Familie nicht zu Hause, vermutlich wurde auch deshalb die Abschiebung der Familie abgebrochen.
Die Familie, die schon seit 9 Jahren in Deutschland lebt, hatte nicht mit einer Abschiebung gerechnet. Laut Gesetz muss diese angekündigt werden, wenn die Betroffenen schon mehr als ein Jahr lang geduldet werden. Dabei wird den Betroffenen nicht der genaue Termin mitgeteilt, aber die Absicht in nächster Zeit abzuschieben. Weil die Ausländerbehörde die Abschiebung nicht wie vorgeschrieben angekündigt hatte, hat die Anwältin der Familie eine Einstweilige Verfügung bei Gericht beantragt. Zunächst hat die Barnimer Ausländerbehörde dem Gericht mündlich zugesagt, in den nächsten vier Wochen keine Abschiebeversuche zu unternehmen. Außerdem ist ein Antrag auf Bleiberecht wegen guter Integration für den 16jährigen Sohn anhängig.
Für den Vater der Familie, Herrn Tsechoev, hatte die Familie der Ausländerbehörde ein mehrseitiges ärztliches Gutachten vorgelegt. Wegen einer Krebserkrankung ist er nicht reisefähig. Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde soll bei Vorlage des Attestes gesagt haben: „Selbst wenn sie daliegen wie ein Toter, ist mir das egal und sie werden abgeschoben werden.“
Frau Kukieva wird immer noch schlecht, wenn sie an die Anspannung dieses Polizeieinsatzes denkt. Auf die Frage: „Wie fühlt es sich an, so lange schon mit einer ,Duldung‘ zu leben?“ sagt sie: „Wir sind immer im Stress. Wir haben immer Angst, dass eine Abschiebung kommen könnte. Wir haben keine Chance, eine Arbeit zu finden, weil die Duldung nur 3 Monate gilt. Wir können fast nie entspannen.“
Bei dem selben Polizeieinsatz wurde ein 20-jähriger aus demselben Haus tatsächlich nach Russland abgeschoben. Seine Mutter, Frau Osmaeva, arbeitet als Erzieherin und hat seit Oktober eine Aufenthaltserlaubnis. Ihr Sohn hatte im Sommer die Schule abgeschlossen und hatte gerade viele Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz geschrieben. Außerdem hatte er für Anfang Januar einen OP-Termin, den er nun nicht mehr wahrnehmen kann.
„Für mich ist das ein großer Schock.“, sagt Frau Osmaeva „Ich war seit 2013 mit meinem Sohn in Deutschland. Ich war immer alleinerziehend. Im Herbst habe ich den Aufenthaltstitel bekommen und nicht geahnt, dass mein Sohn trotzdem abgeschoben werden kann, weil er volljährig ist.“ Jetzt sei er in Moskau und es sei unklar, ob er jemals wieder her kommen könne. „In Russland hat er nur gelebt bis er 12 Jahre alt war. Er hat 8 Jahre in Deutschland gelebt – er ist hier viel besser integriert als in Russland.“
„Wir fordern die sofortige Erlaubnis der Rückkehr des abgeschobenen 20jährigen“, so Thomas Janoschka vom Barnimer Bürger*innenasyl, „und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass es keine weiteren Abschiebungen aus dem Barnim gibt.“
Bürger*innenasyl Barnim
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