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PRESSEMITTEILUNG 12.04.2021 Unterstützt von: Ayében Berlin, ABA (Aktionsbündnis Antira), Barnim für Alle, Flüchtlingsrat Berlin, Flüchtlingsrat Brandenburg, Jugendliche ohne Grenzen (JOG), KommMit e.V/BBZ- Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen, KommMit e.V /PSZ-Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge im Land Brandenburg, Refugeesdreams, RomaTrial, Schlafplatz Orga, Seebrücke Potsdam, Die Urbane (Eine HipHop Partei), We’ll Come United Berlin und Brandenburg, Xenion – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.
Asylpolitik kostet Leben
Drei Suizide von Geflüchteten in Berlin und Brandenburg innerhalb weniger Wochen. Im Februar und März 2021 nahmen sich drei Geflüchtete aus Potsdam, Eberswalde und Berlin das Leben. Für Angehörige und Berater*innen steht fest: Die drei Männer wurden durch das Asylsystem massiv unter Druck gesetzt. Sie erhielten nicht den Schutz, den sie in Deutschland gesucht hatten.
Potsdam
A. H. aus Afghanistan nahm sich am 16. Februar 2021 mit 43 Jahren das Leben. Er hatte seit neun Jahren um die Familienzusammenführung mit seiner Frau gekämpft. Ohne Erfolg. In seiner Zeit in Deutschland war A.H. psychisch und körperlich zunehmend erkrankt. Er hatte eine Niere verloren und litt unter starken Schmerzen aufgrund von drei Brüchen an der Wirbelsäule. Nach neun Jahren auf der Flucht hatte er im Dezember endlich den Flüchtlingsstatus in Deutschland bekommen. Doch die neunjährige Trennung von seiner Frau und sein jahrelanger Kampf um Familiennachzug war vergeblich und trieb ihn in die Verzweiflung. Er hatte psychotherapeutische Behandlung, Gesundheitsberatung und eine Selbsthilfegruppe in Anspruch genommen. Seit der Pandemie litt er jedoch unter einem Mangel an geeigneten Angeboten in Potsdam und an sozialer Isolation.
Shorreh Baddieh, Traumatherapeutin bei XENION: „Insbesondere in Brandenburg ist die Versorgungsstruktur für geflüchtete Menschen mit psychischen Problemen schlecht. Ich mache mir aktuell um mehrere meiner Patienten große Sorgen wegen Suizidgefahr. Sie brauchen dringend Hilfe, treffen aber vor allem in der Akutversorgung immer wieder auf Menschen mit geringer interkultureller Kompetenz und erhalten keine Dolmetschung in ihre Muttersprache.“
Christiane Weber, Psychologische Psychotherapeutin bei XENION: „Wir sehen aktuell, dass der psychische Druck gerade bei den Menschen, die sich in einer unsicheren Aufenthaltssituation befinden und aufgrund ihrer Geschichte bereits schwer belastet sind, enorm steigt. Corona wirkt dabei wie ein Brennglas. Das große Problem ist, dass es keine reguläre Versorgungsstruktur im Sinne von qualifizierten therapeutischen Angeboten für sie gibt, und auch der Zugang zu den Akutstationen der Psychiatrien oft schwierig ist. Dies ist aber gerade jetzt umso nötiger, um Menschen in Existenzkrisen zu stärken und damit Suizidprävention zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass unsere Gutachten, in denen wir auf die psychische Belastung und Suizidalität hinweisen, mittlerweile immer häufiger von Behörden und Gerichten als Gefälligkeitsgutachten diskreditiert werden.“
Eberswalde
Salah Tayar aus dem Tschad nahm sich am 11.3.2021 mit 35 Jahren das Leben. Er hatte seit acht Jahren um ein Recht zu bleiben gekämpft. Ohne Erfolg. Salah Tayar kam als junger Mann im Tschad wegen Ungehorsam in ein Militärgefängnis. In den zweieinhalb Jahren dort wurden er regelmäßig gefoltert. Nach jahrelanger Flucht durch Libyen und übers Mittelmeer erreichte er Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, weil der Tschad als sicher gilt. Im April hätte er einen letzten Termin vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder im Klageverfahren – mit kaum Aussicht auf Erfolg- gehabt. Freunde und Angehörige beschreiben, dass die unklare Aufenthaltsperspektive ihn in eine tiefe Depression stürzte.
Sein Cousin Yahia Mohammed:
„Salah hat jahrelang für ein menschenwürdiges Leben gekämpft, im Tschad und in Deutschland. Trotz allem, was er durchgemacht hat, wurde ihm kein Schutz gewährt. Sein Asyl wurde abgelehnt, obwohl er seine ganze Geschichte offengelegt hatte. Das hat ihm jede Perspektive auf ein Leben in Würde geraubt. Daran ist Salah zerbrochen.“ Weiter führt Yahia Mohammed aus: „Salah hat 8 Jahre im Heim in Eberswalde gelebt, er hatte eine Duldung und damit keine umfassende Arbeitserlaubnis. Die Situation im Heim ist schlimm, es gibt nichts zu tun, das treibt Menschen in die Hoffnungslosigkeit. Der Rassismus im öffentlichen Raum in Eberswalde kommt hinzu. Es gibt viele Menschen, den es so geht, die nicht mehr wissen, wie sie die Situation aushalten sollen.“
Mustafa Hussien von Barnim für Alle:
„Salah floh vor Folter, vor der Unterdrückung und Politik der tschadischen Regierung unter der Führung von Diktator Idriss Deby. Salah lebte unter uns als ruhiger und guter Mensch. Es gibt eine Gruppe von Geflüchteten, die noch leben, aber unter den gleichen Bedingungen wie Salah leiden. Wir als Gruppe ‚Barnim für Alle‘ und als in der Region lebende Geflüchtete erklären unsere völlige Ablehnung dieser Politik und wollen dafür kämpfen, dass sich die Gesetze verändern.“
Berlin
Alpha Oumar Bah aus Guinea nahm sich in der Nacht vom 16.3.2021/17.3.2021 mit 27 Jahren das Leben. Er hatte seit mehr als drei Jahren um eine Bleibeperspektive gekämpft. Ohne Erfolg. Er hatte sehr große Angst vor einer Abschiebung. Alpha Oumar Bah lebte in einer Unterkunft für Geflüchtete in Berlin und verdiente seinen Lebensunterhalt bei einer Reinigungsfirma. Er war im Asylverfahren und lebte in der Angst vor Abschiebung. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel hatte im Februar eine Delegation des Regimes in Guinea eingeladen, um die Identität von Geflüchteten aus Guinea zu klären und damit die nötigen Dokumente für eine Abschiebung ausstellen zu können. Im Vorfeld wurden schwarze Menschen im Görlitzer Park wegen angeblicher Dealerei kontrolliert. Nach Aussagen der Polizei gegenüber der taz sei die Polizei zu dieser Zeit zudem auf der Suche nach „relevanten Personen zur Vorstellung vor der Guineischen Expertenkommission“[1] <x-msg://16/#_ftn1>gewesen. Bei einem Pressetermin in Görlitzer Park unterstreicht der Innensenator diese rassistische Praxis. Bisher wurde in 15 von 22 Menschen aus Berlin die Guineische Staatsbürgerschaft festgestellt und die Betroffenen abgeschoben. Als eines von drei Bundesländern beteiligte sich Berlin unter anderem am 16.3. an den bundesweiten Sammelabschiebungen nach Guinea. Die Delegation soll im Herbst erneut nach Berlin kommen. Am 15.03.2021 gab es in der Unterkunft, in der Alpha Oumar Bah lebte, einen Polizeieinsatz, um die Abschiebung einer anderen Person zu vollziehen. Es ist anzunehmen, dass all dies Alpha Oumar psychisch massiv unter Druck setzte.
Rachid von Ayében Berlin:
„Die Delegation aus Guinea hat die Ausbildungsduldung nicht anerkannt. Menschen, die mitten in der Ausbildung standen, wurden nach Guinea abgeschoben. Wir fragen den Innensenator von Berlin, wie kann das sein? Dieses Vorgehen hat Panik ausgelöst. Die Angst vor einer Abschiebung ist unsagbar groß. Dass die Delegation erneut im Herbst 2021 nach Deutschland kommen soll, erschreckt die Menschen sehr.“
Alpha von Ayében Berlin: „Die Situation in Guinea ist sehr schwierig, zum einen ist die Bevölkerung schutzlos der globalen Covid-19 Pandemie ausgesetzt, auf der anderen Seite breitet sich Ebola erneut aus. Hinzu kommt, dass viele Oppositionelle im Gefängnis sitzen. Gleichzeitig gibt es schwere Menschenrechtsverletzungen. Die Lage in Guinea ist desaströs.“
Wir fordern von der Berliner und Brandenburger Landesregierung politische Konsequenzen
* Öffentliche vollständige Aufklärung der Suizide. * Anerkennung des Gesuches auf Schutz und Asyl.
* Erleichterung der Familienzusammenführung.
* Gedolmetschte und kultursensible Akutversorgung und Therapieangebote.
* Bleiberecht für psychisch belastete und traumatisierte Menschen.
* Keine Abschiebung in Länder, die von Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sind.
* Keine Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen zur Beschaffung von Abschiebepapieren.
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[1] <x-msg://16/#_ftnref1> https://taz.de/Fragwuerdige-Abschiebepraxis/!5758976